Zum Fenster hinaus

Irene ist klein, aufgeweckt und das Kind einer EVANGELISCHEN DEITSCHEN. Der Vater ist für sie nur ein Gesicht auf einem Foto, doch von MAMA hat sie gelernt, hinzuschauen. Grund genug, um zum Gespött der Leute zu werden?

Nachkriegszeit: In diesen Tagen aufrecht durchs Leben zu gehen, heißt, alleine dazustehen.

„Mama erzählt manchmal, wie weit sie gelaufen ist, ob sie ein Lastwagen mitgenommen hat, wie unfreundlich die Bauern sind und wie müde sie immer ist. Sie schämt sich dieser Bettlerei, obwohl ALLE es tun, die nur irgendwie können. Aber wir haben niemanden, der für uns sorgt, wenn sie es nicht tut.“ (S. 23)

Die Not ist groß

Warum sich alles darum dreht, einen MANN IM HAUS zu haben, obwohl so viele in ihrem Umfeld trinken, zuschlagen oder zu nichts zu gebrauchen sind, ist eine Frage, die im Postfaschismus der 1940er Jahre an Gotteslästerung grenzt. Dass Frauen ihre eigenen Überlebensstrategien entwickeln, reimt sich Irene, die früh lernt, zwischen den Zeilen zu lesen, selbst zusammen.

„Männer muß man AUSNÜTZEN, sagt Frau Auböck immer, die wollen es ja gar nicht anders. Mama redet nie von Männern auf diese Art. Wenn sie zurückkommt, will ich sie fragen. Vielleicht kann sie sich auch ein paar Freunde halten, damit sie nicht so viel arbeiten muss.“ (S. 90)

Irene ist klug

Sie hört zu, beobachtet und mit wem sie wie zu reden hat, weiß sie genau. Sie nimmt Menschen nicht so wahr, wie sie sein sollten, sondern begnügt sich damit, sie so zu sehen, wie sie sind. Ihre Mutter glaubt an GOTT. Irene glaubt an ihre Mama. Und obwohl der Mutter Gott näher ist, als die Welt, setzt sie alles daran, dass es die Tochter einmal zu etwas bringen wird. Nicht zuletzt, weil sie es PAPA versprochen hat.

„PASS MIR GUT AUFS DIRNDL AUF, waren seine letzten Worte, und Mama sagt, sie hat das immer sehr ernst genommen und sie wird immer alles tun, was in ihren Kräften steht, für mich, und ich soll mir um sie keine Sorgen machen, sondern lernen und nochmals lernen, soviel ich nur kann. Damit mich später niemand unterdrücken kann, denn DER GEIST IST IMMER FREI Irene, das mußt du dir merken.“ (S. 218)

Die Zeiten bleiben hart. Damit Irene etwas aus sich machen kann, arbeitet die Mutter noch härter. Auch das Kind strengt sich über die Maßen an. Doch aller Mühsal zum Trotz, bleibt GLÜCK eine Leerstelle und der abwesende Vater die damit verbundene Figur.

ZUM FENSTER HINAUS. Christine Haidegger zeichnet in ihrem 1979 erschienenen und 2016 neu aufgelegten Roman das ungelebte Leben einer Frau nach, die nur mehr in ihrer Mutterrolle zu existieren scheint. In letzter Konsequenz führt die Autorin aber vor Augen, dass sich ein Kind nicht nur trotzdem auf sich selbst zurückgeworfen fühlen kann, sondern vielleicht genau DESWEGEN. Lesenswert!

Zum Fenster hinaus

Christine Haidegger
Zum Fenster hinaus
Eine Nachkriegskindheit

Salzburg-Wien 2016

Unveränderte Neuauflage der 1. Auflage (Rowohlt 1979)

 

Erstveröffentlichung der Rezension: AEP-Informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft. Nr. 2/2016